Die "fiskalischen Austernbecken" im Porrenkoog vor den Toren Husums: Nachdem sie 1910 stillgelegt waren, entstand dort das erste Flutkraftwerk der Welt
Die „fiskalischen Austernbecken“ im Porrenkoog vor den Toren Husums: Nachdem sie 1910 stillgelegt waren, entstand dort das erste Flutkraftwerk der Welt

Das erste Flutkraftwerk der Welt wurde nicht 1966 an der französischen Atlantikküste in St. Malo, sondern bereits 1912 vor den Toren Husums in Betrieb genommen. Es war ein „Probe- und Beweisflutkraftwerk“ des Hamburger Zivilingenieurs Emil F.G. Pein und erregte zu seiner Zeit großes Aufsehen. Pein warb seit 1910, dass die vom ihm blumig „weiße Kohle“ genannte Gezeitenkraft taugte, um kontinuierlich Strom zu erzeugen. Beweisen wollte er das mit einer kleinen Versuchsanlage vor der Husumer Schleuse, für die er die ausgedienten fiskalischen Austernbecken nutzte. August 1912 begann er mit dem Bau. Er wollte nur belegen, dass sein Prinzip funktionierte. Die Leistung dieses ersten Flutkraftwerkes war mit nur fünf Kilowatt auch für damalige Verhältnisse gering. Werben wollte er so für seinen Plan, an der Dockkoogspitze vor Husum eine gewaltige Anlage mit einem sogenannten Hoch- sowie einem Niederbecken zu bauen. Dafür sollte die Nordstrander Bucht abgedeicht werden. Das Wasser aus 1.300 Hektar wollte Pein durch sechs Turbinen mit je 1.000 Kilowatt Leistung schicken. Die sollten nach folgendem Prinzip kontinuierlich Strom erzeugen: War die Flut aufgelaufen, sollte das Wasser über die Turbinen in ein Hochbecken geleitet werden und dabei Strom erzeugen. War das erste Becken voll, sollte die Schleuse geschlossen und danach das zweite Becken gefüllt werden. Mit dem Einsetzen der Ebbe, wollte Pein das Wasser der beiden Becken über die Turbinen wieder zurück in die Nordsee leiten. Pein warb mit der Broschüre „Ebbe und Flut, die Kraftquelle der Zukunft“ für das Großprojekt. Ob ein solches Flutkraftwerk bei nur gut drei Metern Tidenhub im Watt funktionieren konnte, war nicht nur bei der Obrigkeit mehr als strittig. Die Versuchsanlage in den Austernbecken sollte deshalb überzeugen. Es begann vielversprechend. Am 24.September 1912 vermeldete das Husumer Tageblatt den ersten Probelauf der Turbine. Sturmfluten beschädigten sie über den Winter. Doch am 9. Januar 1913 sollte es so weit sein: Pein hatte Gemeindevertreter eingeladen, um das Flutkraftwerk in Funktion zu demonstrieren. Doch es drehte sich nichts. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges schließlich beendete jede Diskussion über Peins Pläne. Die „Beweisanlage“ in Husum war schnell vergessen. Erst in den 1970er Jahren wurde erneut darüber diskutiert, die Wasserkraft im Wattenmeer zu nutzen. Die Idee des damaligen Pellwormer Amtsvorstehers, ein Strömungskraftwerk zwischen Pellworm und Nordstrand zu errichten, führte im Gegensatz zu Peins Projekt jedoch noch nicht einmal zu einem Versuch.

Flutkraftwerk
Flutkraftwerk

-ju-/ Jürgen E. Dietrich (0201/0403/0921)

Quellen: „Die Umschau“, Jg. 17, 1913, Kreisarchiv Nordfriesland; Holger Borzikowsky, Verein für Husumer Stadtgeschichte; NDR1 WELLE NORD, Vun Binnenland & Waterkant, Studio Heide, 30.3.1983; Husumer Tageblatt Nr.182 vom 6.8.1912, Nr. 188 vom 13. August 1912, Nr. 216 vom 14.9.1912; Jürgen E. Dietrich, Alternative Energie ist kein Kind aus unseren Tagen, 19.1.1985, Husumer Nachrichten

Bildquellen: Kreisarchiv Nordfriesland