„Entlastungszeugnis“ nach dem Gesetz zur Fortführung und zum Abschluss der Entnazifizierung vom 15. Februar 1948

Die alliierten Siegermächte beabsichtigten 1945 eine breit angelegte Vergangenheitsbewältigung. Neben strafrechtlicher Ahndung und Wiedergutmachung für Opfer sollte eine tiefgreifende politische Säuberung erfolgen. Die Entnazifizierung in der britischen Zone, zu der auch Schleswig-Holstein zählte, war auf Denazifierung und Reeducation vor allem im öffentlichen Dienst gerichtet. Anhand von Fragebögen wurde ab Sommer 1945 über Entlassung oder Weiterbeschäftigung entschieden. Im Konflikt zwischen Bedarf an Fachleuten und politischer Belastung setzte sich sehr oft das Bedürfnis durch, Verwaltungskräfte zu behalten. Dennoch kam es zunächst zu Entlassungen: Ein Viertel der Lehrerschaft, insgesamt circa 4.000 Landesbedienstete waren betroffen. Zur Jahreswende 1945/46 berief die Militärregierung deutsche Entnazifizierungsausschüsse. Ab Oktober 1946 galt die Kategorisierung nach 1. Hauptschuldigen, 2. Belasteten, 3. Minderbelasteten, 4. Mitläufern und 5. Entlasteten, wobei deutsche Ausschüsse nur für die Kategorien drei bis fünf zuständig waren. Im Unterschied zu der amerikanischen Zone wurde von den Kategorien eins und zwei kein Gebrauch gemacht. Selbst der ehemalige Gauleiter Hinrich Lohse ging als minderbelastet und schließlich sogar entlastet aus dem Verfahren hervor. 1948 schuf Schleswig-Holstein ein Gesetz zur Entnazifizierung. Insgesamt wurden im Massenverfahren 406.500 Menschen entnazifiziert, nur 2.217 stufte man in Kategorie drei ein, was Sanktionen wir Geldstrafe, Entlassung und Einschränkung der Pensionsansprüche bedeuten konnte. Die Restlichen verteilten sich auf die Kategorien Mitläufer (66.500) und Entlastete (206.000), oder sie wurden als nichtbetroffen (131.600) aus dem Verfahren entlassen. 404.000 Erfaßte (99,4 Prozent) gingen als sofort rehabilitiert oder mit geringen Sanktionen versehen aus dem Verfahren hervor. Gleichwohl gab es Verbitterung und konfliktreiche Debatten um die Entnazifizierung. Die Ursache lag im Verfahren selbst: Weil der Fragebogen hunderttausenden vorgelegt wurde, weil allein anhand von Zugehörigkeiten zu NS-Organisationen die Schwere der Verwicklung des einzelnen ermittelt werden sollte, weil die Umkehrung der Beweislast Betroffene nötigte, durch möglichst viele „Persilscheine“ nachzuweisen, wie anständig sie gehandelt hätten, weil Flüchtlinge und Vertriebene in Dorf oder Stadt leichter täuschen und vertuschen konnten als Altbekannte, weil klar wurde, dass ein Massenverfahren nicht der individuellen Vergangenheit des einzelnen gerecht werden konnte, war das Scheitern offenbar, ergaben sich fatale Solidarisierungen und wurde der Schlußstrich sehr schnell zum Mehrheitsziel, die eingehende Beschäftigung mit dem eigenen Anteil an der Schuld sehr schnell verdrängt. Der Landtagswahlkampf 1950 stand auch im Zeichen der Entnazifizierung. Die bürgerlichen Parteien versprachen ihr sofortiges Ende, die SPD einen schnellen Abschluss. Kurz nach der bürgerlichen Regierungsbildung erließ der Landtag nach konfliktreichen Debatten das „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“. Es rehabilitierte alle belasteten Beamten noch konsequenter, als es die 1950 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Richtlinien forderten, und stellte die Kategorien drei und vier per Automatismus mit jenen gleich, die von vornherein als entlastet gegolten hatten. Fast alle der 946 noch Betroffenen erhielten damit den Wiedereinstellungs- beziehungsweise den verbesserten Versorgungsanspruch. Die Entnazifizierung war sechs Jahre nach Kriegsende gescheitert. Nach der Regierungsübernahme durch die CDU 1950 wurde mit dem Gesetz in dem neuen Bundesland ein Prozeß eingeleitet, der schon damals als Renazifizierung bezeichnet wurde.

Uwe Danker (0801/0621/0422)

Aus: Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt und Ortwin Pelc(Herausgeber), Schleswig-Holstein-Lexikon, Wachholtz Verlag, Neumünster, www.wachholtz.de, 2000, ISBN 3-529-02441-4)

Quelle: Uwe Danker :“Vergangenheitsbewältigung“ im frühen Land Schleswig-Holstein, in: Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein“, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung, Kiel, 1998

Bildquelle: Wikepedia free common