Adelige Güter in Schleswig-Holstein

Ein typisches Torhaus: Sierhagen
Ein typisches Torhaus: Sierhagen

Die „Gutswirtschaft“ ist die im östlichen Schleswig-Holstein bis heute die vorherrschende Betriebsform. Das „Gut“ ist ein landwirtschaftlicher Großbetrieb mit bis zu mehreren tausend Hektar Land, der heute unter den modernen Marktverhältnissen vom Gutsherrn als Wirtschaftsbetrieb unternehmerisch geführt werden muss. Die Anfänge der einst ausnahmslos „adligen Güter“ reichen zurück bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die „Gutswirtschaft“ in ihrer voll ausgeprägten Form entwickelte sich an der Ostküste Angelns, umfasste ganz Schwansen und den Dänischen Wohld, das Gebiet um den Westensee sowie die ostholsteinischen Gebiete östlich der Schwentine und der Trave mit Ausnahme der Probstei und Fehmarns; auch das Herzogtum Lauenburg gehörte dazu. Vereinzelt gab es auch in Westholstein und in den Elbmarschen Güter, die so genannten „Marschengüter“.

Der Beginn während der Kolonisierung

Ausschnitt aus dem Sachsenspiegel: die Illustration soll die Pflichten und Rechte der Kolonisten gegenüber ihrem Grundherren verdeutlichen. Der verleiht das Recht zur Rodung, zum Hausbau und spricht Recht über „seine“ Bauern
Ausschnitt aus dem Sachsenspiegel: die Illustration soll die Pflichten und Rechte der Kolonisten gegenüber ihrem Grundherren verdeutlichen. Der verleiht das Recht zur Rodung, zum Hausbau und spricht Recht über „seine“ Bauern

Die Wurzeln der Güter wurden in den Zeiten der Kolonisierung vor allem Ostholsteins seit der Mitte des 12. Jahrhunderts gelegt. Adlige „Lokatoren“ legten damals Wehr- und Befestigungsanlagen (Hof, Curia) an, um den Schutz ihres Landes zu gewährleisten. Dafür erhielten sie die Grundherrschaft des umgebenden Gebietes zugewiesen. Das bedeutete, die bäuerlichen Siedler hatten für die Lokatoren Abgaben und/oder Arbeit (Hand- und Spanndienste) zu erbringen. Als Lansten bearbeiteten sie auf Lebzeiten „verliehenes“, also gepachtetes Land. Die adligen Lokatoren selbst verfügten zudem über ein größeres Eigenland, das zunächst in Feldgemeinschaft mit dem Siedlerland bearbeitet wurde. Im ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert gab es zunächst eine große Zahl solcher adligen Höfe. Dann setzten Vorgänge ein, die die adligen Hofbesitzer in den von ihnen beherrschten Gebieten stärkten: das Eigenland wurde aus der Feldgemeinschaft herausgelöst, arrondiert und vergrößert. Dafür wurde Wald gerodet. Auch wurde Kulturland, das durch den Rückgang der Bevölkerung nicht mehr bewirtschaftet werden konnte – also „wüst“ wurde –, von den adligen Grundherren einverleibt. Schließlich wurden auch ganze Dörfer „niedergelegt“ und dem adligen Hofland zugeschlagen. So entstand größerer, geschlossener Landbesitz, der schon als Vorform eines „Gutes“ gelten kann. Gleichzeitig nahm die Zahl der adligen Höfe ab, so dass die Stellung und der Besitz der verbleibenden Familien gestärkt wurden.

Die Güter entstehen

Der Übergang vom adligen Hof des Spätmittelalters zum „Gut“ der frühen Neuzeit erfolgte etwa um 1500. Gleichzeitig veränderte sich die rechtlichen Stellung der Bauern in diesen so gebildeten Adelsbesitzungen. Stand es bis etwa Mitte des 15. Jahrhunderts den Bauern frei, ihr Land zu verlassen, versuchten die Adligen nun, sie Menschen ihres Herrschaftsbezirks an das Gut, an die „Scholle“, zu binden. Durch den Bevölkerungsrückgang in der Folge vor allem der Pest gab es nämlich nicht mehr genug Menschen, die als Arbeitskräfte den inzwischen großen Eigenbesitz des Adels bearbeiten und die entsprechenden Dienste verrichten konnten. Auf den Gütern bildete sich die Leibeigenschaft aus, die 1524 durch ein Privileg des dänischen Königs Friedrichs I.(*1471/1523-1533†) auch verfassungsrechtlich anerkannt wurde. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Leibeigenschaft in allen von der Großlandwirtschaft geprägten Gebieten im Osten der Herzogtümer Schleswig und Holstein durchgesetzt.

Leibeigenschaft als Garant der Güter

Das gutswirtschaftliche System um 1730: vertikale Linien kennzeichnen die scharfe Ausprägung, was tägliche Hofdienste durch eigens dafür gehaltenes Gesinde und Gespann als wesentliche Leistung der Bauern bedeutet; Horizontale Linien: Mittlere Ausprägung mit nur meist täglichen Hofdiensten mit eigens dafür gehaltenem Gesinde und Gespann der Bauern; gepunktete Linien: beschränkte Hofdienste; Schräge Linien: Gebiete mit Leibeigenschaft
Das gutswirtschaftliche System um 1730: vertikale Linien kennzeichnen die scharfe Ausprägung, was tägliche Hofdienste durch eigens dafür gehaltenes Gesinde und Gespann als wesentliche Leistung der Bauern bedeutet; Horizontale Linien: Mittlere Ausprägung mit nur meist täglichen Hofdiensten mit eigens dafür gehaltenem Gesinde und Gespann der Bauern; gepunktete Linien: beschränkte Hofdienste; Schräge Linien: Gebiete mit Leibeigenschaft

Die Leibeigenschaft war Bestandteil des gutswirtschaftlichen Systems unter den rechtlichen und ökonomischen Verhältnissen des 16. bis  19. Jahrhunderts. Sie gründete sich im Prinzip auf einen Vertrag auf Gegenseitigkeit: Der Leibeigene war persönlich unfrei; er hatte seinem Gutsherrn Dienste und Abgaben zu leisten; er besass keine Freizügigkeit, sondern war an die Scholle gebunden, und er durfte nur eine Familie gründen, wenn der Gutsherr dem zustimmte. Der hatte seinerseits die Aufgabe, die Gesundheit und die Arbeitskraft des Leibeigenen zu erhalten – die so genannte „Konservationspflicht“ – und war verpflichtet, ihm in Notlagen zu helfen. Natürlich gab es von beiden Seiten immer wieder Versuche, die Lasten dieser Zweiseitigkeit gegenüber dem jeweils anderen zu verschieben oder gar aufzuheben. Dabei lag die „institutionelle“ Macht sicher auf der Seite des Adels. Die Leibeigenschaft wurde im Rahmen der Agrarreformen im dänischen Gesamtstaat erst mit dem 1. Januar 1805 in den Herzogtümern Schleswig und Holstein endgültig aufgehoben.

Vom Hof zum Gut

Ende des 16. Jahrhunderts ist aus dem adligen Hof des Mittelalters das Gut der frühen Neuzeit geworden, wie es dann durch die Jahrhunderte bestanden hat. Die Zahl dieser adligen Güter wurde im Jahr 1652 durch eine Landesmatrikel festgelegt, doch konnte danach die Eigenschaft eines „adligen Gutes“ auch durch landesherrliche Verfügung erworben werden. Vor allem in der zweiten Hälfte des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war dies der Fall. Alle Güter waren zunächst im Besitz der großen schleswig-holsteinischen Adelsfamilien (Ahlefeldt, Blome, Brockdorff, Buchwaldt, Rantzau, Reventlow u.a. ), die durch Kauf, Heirat oder Vererbung teilweise einen immensen Gutsbesitz in einer Hand vereinigen konnten. Durch einen speziellen Vertrag, den Fideikommiß, wurde gerade vom niederen Adel sichergestellt, dass die Güter im Erbgang nicht aufgeteilt, also zerstückelt wurden. Mitte des 18. Jahrhunderts tauchten dann jedoch in Schleswig-Holstein die ersten bürgerlichen Gutsbesitzer auf. Ihnen wurde der Kauf und Besitz solcher „adligen“ Güter nicht verwehrt. Gleichwohl blieben es „adlige“ Güter, weil die auf dem Grund und Boden liegenden öffentlichen Lasten und die Aufgaben unverändert weiter bestanden.

Das Gut als eigener Rechtsraum

Das ostholsteinische Gut Rantzau im 18. Jahrhundert gibt einen Eindruck von den großen Anlagen: Torhaus, dahinter der weiträumige Hofplatz mit Kuhhaus und Scheune und dahinter das Herrenhaus, inmitten von Gärten und mit eigenem Park
Das ostholsteinische Gut Rantzau im 18. Jahrhundert gibt einen Eindruck von den großen Anlagen: Torhaus, dahinter der weiträumige Hofplatz mit Kuhhaus und Scheune und dahinter das Herrenhaus, inmitten von Gärten und mit eigenem Park

Das „adlige“ Gut hatte bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einen eigenen Wirtschafts-, Sozial- und Rechtscharakter. Wirtschaftlich war ein Gutsbesitzer selbständiger Unternehmer, der die Produkte seines Gutes auf dem Markt absetzte. Das waren in Schleswig-Holstein vor allem Getreide, Vieh und Milchprodukte (Butter und Käse ). Der Gutsbesitzer hatte das Eigentum an Grund und Boden nicht nur seines eigenen Gutslandes, sondern des gesamten Gutsbezirks mit Haus, Hof und Inventar. Die Bauern mit ihren Familien waren neben der Arbeit auf dem eigenen, nur gepachteten Hof zu Hand- und Spanndiensten auf dem Gutshof verpflichtet, deren Maß im Prinzip nicht festgelegt war. Sozial war der Gutsbesitzer Patron, der zunächst mit Leibeigenen, dann – seit 1805 – mit Pächtern und freien Arbeitskräften seine Gutsländereien bearbeitete. Auch die Fürsorge für seine Untertanen im Falle von Krankheit, Alter und Tod gehörte zu seinen Aufgaben. Rechtlich war der Gutsherr Obrigkeit, der von den Lokalbehörden unabhängig war und unmittelbar nur der landesherrlichen Verwaltung unterstand. Er regelte die öffentlichen Angelegenheiten des Gutes, sprach oder ließ in seinem Namen Recht sprechen, hatte das Schul- und Kirchenpatronat inne und war für Steuer- und Militärangelegenheiten verantwortlich.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

„Country live“ – im 19.Jahrhundert wurde von den Gütern im Lande der Stil des englischen Landadels nachempfunden
„Country live“ – im 19.Jahrhundert wurde von den Gütern im Lande der Stil des englischen Landadels nachempfunden

Die wirtschaftliche Lage der Güter während der Zeit von etwa 1500 bis 1900 war bestimmt von der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Lage sowohl in den Herzogtümern als auch in Deutschland und sogar in Europa. Da Getreide in dieser Zeit das Hauptnahrungsmittel war, hatten die Güter einen stetigen Absatz. Der allerdings schwankte und war abhängig von Krisen und Konjunkturen. Wirtschaftliche Blütezeiten erlebte die Gutswirtschaft in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts sowie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Beide Hochphasen gingen einher mit einer kulturellen Blüte des Adels. Die fand vor allem in der Architektur und der Park- und Gartenbaukunst ihren Niederschlag. Auch der stetig steigende Bedarf an Lebensmitteln durch die sprunghaft wachsende und nun in die neuen Zentren ziehenden Bevölkerung mit Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bot für die Güter gute wirtschaftliche Möglichkeiten. Da die Menschen vom flachen Land in die Städte zogen, mussten die fehlenden Arbeitskräfte ersetzt werden. Deshalb setzte vor allem und zuerst auf den Gütern als wirtschaftlich leistungsfähige Einheiten die Mechanisierung ein. Sie bewirkte zusammen mit dem Einsatz des neuen „Kunstdüngers“ (Mineraldünger) vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen erheblichen Zuwachs der Produktivität. Der wiederum ermöglichte es, die steigende Nachfrage zu befriedigen.

Von den Preußen in die Gegenwart

1867 wurden die Herzogtümer durch die Annexion zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein. 1871 entstand das Deutsche Reich. Damit änderte sich die rechtliche Stellung der Güter grundlegend. Die gesamten öffentlich-rechtlichen Befugnisse der Güter gingen nach und nach an den Staat über. Die sozialen Pflichten der Gutsherren gingen mehr und mehr auf dem Staat üben und wurden schließlich von modernen Systemen wie der Bismarckschen Sozialversicherung übernommen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Fideikommiß aufgehoben. 1928/29 schließlich auch die Gutsbezirke als Gemeindebezirke aufgelöst und mit den umliegenden Gemeinden zusammengeschlossen. Wirtschaftlich bedeutete der Erste Weltkrieg für die Güter eine scharfe Zäsur: Die Not der Nachkriegsjahre und die erste Welle der aus den Ostgebieten in die ländlichen Gebiete des Nordens strömenden Flüchtlinge führte 1919 zum Reichssiedlungsgesetz, das in Schleswig-Holstein von der Landgesellschaft umgesetzt wurde. Es bestimmte, zahlreiche Güter „aufzusiedeln“ – also aufzuteilen – und die so geschaffenen Stellen an Bauern als eigene Höfe zu vergeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte im Rahmen der Bodenreform 1948/49 eine erneute Siedlungsbewegung, um Höfe für die zahlreichen bäuerlichen Flüchtlinge zu schaffen. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Güter parzelliert und in selbstständige, eigene Bauernstellen umgewandelt. Gleichwohl ist der Ostteils Schleswig-Holsteins bis heute von der Gutswirtschaft geprägt, die sich nun im europäischen Agrarmarkt behaupten muss.

Peter Wulf (TdM 1004 / 0721)

Quellen und Literatur: Landesamt für Denkmalpflege und Landesamt für Denkmalpflege Lübeck, Kunst Topographie Schleswig-Holstein, Neumünster, 1989. Wachholtzverlag; Henning von Ruhmor, neubearbeitet von Cai von Ruhmor, Schlösser und Herrenhäuser in Ostholstein – ein Handbuch, 3. Auflage, Würzburg, 1989, Verlag Weidlich und Flechsig; Ulrich Lange (Hrsg.), Geschichte Schleswig-Holsteins – Von den Anfängen bis zur Gegenwart (SHG), 2. verbesserte und erweiterte Ausgabe, Neumünster 2003, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02440-6

Bildquellen: Vignette/Gut Rantzau/Country Live :Archiv Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein; Sierhagen: SHLEX; Sachsenspiegel: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (SHLB); Karte: Wolfgang Prange