Auch die Köpfe enthaupteter Piraten wurden im Mittelalter zur Warnung und Abschreckung auf Pfähle gesetzt. Dieser wurde Ende des 19. Jahrhunderts bei den Gründungsarbeiten zur Speicherstadt gefunden. Heute ist man sicher: er stammt von etwa 1400 – es könnte also der von Klaus Störtebeker sein.
Auch die Köpfe enthaupteter Piraten wurden im Mittelalter zur Warnung und Abschreckung auf Pfähle gesetzt. Dieser wurde Ende des 19. Jahrhunderts bei den Gründungsarbeiten zur Speicherstadt gefunden. Heute ist man sicher: er stammt von etwa 1400 – es könnte also der von Klaus Störtebeker sein.

Wie fließend im Mittelalter die Übergänge zwischen Kaperfahrt und Piraterie waren, zeigt das Beispiel von Godecke Michels und Klaus Störtebeker. Beide stammten wahrscheinlich aus Wismar und wurden ab 1394 als Piratenhauptleute in der Ostsee bekannt. Ihre Karriere begann als Kaperfahrer mit Freibriefen aus Mecklenburg, die mit den skandinavischen Königreichen in Streit gekommen waren. Der begann, nachdem der dänische König Waldemar Atterdag (*um1321/1340-1375†)  verstorben war. Da er keinen männlichen Nachkommen hinterließ, war sein Erbe dem Sohn der älteren Tochter Ingeborg zugedacht, die mit Herzog Heinrich III. von Mecklenburg (*um1337/1379Herzog-1383†), dem Bruder des schwedischen Königs Albrecht, verheiratet war. Doch der dänische Adel entschied sich 1376 für den fünfjährigen Olaf, Sohn von Margarethe, der jüngeren Tochter Waldemars. Sie war mit dem norwegischen König Haakon VI. (*um1341/1355-1380†)verheiratet. Nachdem Haken gestorben war,  wurde Olaf nun auch König von Norwegen. Als Olaf erst 16jährig starb, übernahm Magarethe I. (*1353-1412†)  1387 beide Kronen selber. Die Mecklenburger Fraktion erklärte darauf Dänemark den Krieg, doch sie blieben zu Lande erfolglos. 1388 erhoben sich zudem die Schweden gegen König Albrecht, holten Margarethe I. ins Land und huldigten ihr als Regentin. 1389 war Albrecht geschlagen und gefangen. Nur noch die Stadt Stockholm mit ihrem hohen Anteil Deutscher hielt weiter zu Albrecht. In dieser Situation verlegten sich die Mecklenburger auf die Kaperei. Sie öffneten ihre Häfen allen, die bereit waren, auf eigene Kosten mit ihren Schiffen gegen die drei nordischen Reiche Krieg zu führen.

Kaperer gegen die „nordischen Reiche“

Der Kaperkrieg wurde zunächst mit Erfolg betrieben. So gelang es den Ausliegern, die dänische Blockade zu durchbrechen und das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln oder „Vitalien“ (nach dem französischen „vitailleurs“, wie die Fouriere im Hundertjährigen Krieg genannt wurden) zu versorgen. Die mecklenburgischen Kaperer waren fortan als „Vitalienbrüder“ berühmt und berüchtigt. Doch auch Margarethe stellte Kaperbriefe aus. Auf der Ostsee begann ein hemmungsloser Kaperkrieg gegen alle Schiffe. Das hatte vor allem für den hansischen Handel katastrophale Folgen. Visby, Malmö und andere Orte wurden geplündert, die Schifffahrt auf der Ostsee kam fast völlig zum Erliegen. Angesichts dieser Lage verwundert es daher kaum, dass die Hansestädte, sofern sie Kaperfahrern habhaft werden konnten, diese ungeachtet ihrer Kaperbriefe nach dem biblischen Motto „Auge um Auge“ oftmals wie gewöhnliche Piraten behandelten. Überliefert ist die Geschichte der Besatzung eines Stralsunder Handelsschiffes, die 1391 nicht nur einen Kaperangriff abwehren konnte, sondern auch eine große Zahl von Vitaliern gefangennahm. Die Stralsunder erinnerten sich, wie Kaperfahrer ihre Gefangene gerne transportierten. Sie schlugen so Löcher in die Böden von Fässern und stülpten sie dann den Kaperern über. Im Heimathafen angekommen, machte man sich nicht mehr die Mühe, die Gefangenen zu befreien und schlug ihnen gleich über dem Fassboden die Köpfe ab. 1392 war die Hanse gezwungen, den Verkehr mit Schonen einzustellen und „Friedeschiffe“ (Kaperer) zum Schutz der Kauffahrer auszurüsten. Innerhansische Konflikte verschärften die Situation. Die mecklenburgischen Hansestädte Wismar und Rostock standen loyal zu ihrem Landesherren. Sie wollten ihre Häfen nicht für die Vitalienbrüder sperren.

Vom Kaperer zum Pirat

So sollten sich Zeitgenossen Klaus Störtebeker vorgestellen. Die Vorlage zu dem Bild lieferte jedoch Kuntz von Roosen, Hofnarr Maximilians I.
So sollten sich Zeitgenossen Klaus Störtebeker vorgestellen. Die Vorlage zu dem Bild lieferte jedoch Kuntz von Roosen, Hofnarr Maximilians I.

Erst 1395 gelang es der Hanse unter Führung Lübecks, im Konflikt zwischen den drei skandinavischen Reichen und Mecklenburg zu vermitteln. Albrecht wurde für drei Jahre freigelassen, der Kaperkrieg eingestellt. Am Ende siegte Margarethe. 1397 gelang ihr die „Kalmarer Union“. Ihr Großneffe Erich wurde vom Adel Dänemarks, Schwedens und Norwegens in Kalmar zum König der drei skandinavischen Reiche gekrönt. Die Vitalienbrüder scherte das alles wenig. Aus den Kaperern mit Freibrief wurden Piraten. Unter Leitung von Anführern wie Michael Goedecke und Klaus Störtebeker nutzen sie die Gunst der Stunde. Zwar waren alle Ostseeanrainer gegen die Piraten doch niemand koordinierte eine gemeinsame Jagd. 1396 gerieten sogar eine hansische und eine dänische Flotte von Friedeschiffen in einen erbitterten Kampf, weil man sich gegenseitig für die gesuchten Piraten hielt. Die Piraten trieben ihr Unwesen weiter und konnten 1397 die Insel Gotland erobern. Von dort ließen sich wichtige Ostseewege kontrollieren. Um den Seehandel der preußischen Städte und seine Stellung gegenüber Dänemark zu sichern, wurde der Hochmeister des Deutschen Ordens tätig. Er überfiel im Frühjahr 1398 Gotland und überraschte die meisten der Vitalienbrüder noch im Winterquartier. Zusammen mit Lübeck besorgten Friedeschiffe den Rest. 1400 war die Ostsee vorerst von der Seeräuberplage befreit.

Flucht in die Nordsee

Einem Teil der Vitalienbrüder – darunter auch Godecke Michels und Klaus Störtebeker – war es gelungen, in die Nordsee zu flüchten. Dort machten sie vor allem von der Küste zwischen Dollart und Jadebusen aus weiter. In diesem Küstenabschnitt gab es keine Hansestädte, und die in Dauerfehden verstrickten friesischen Häuptlinge boten den als kampfkräftige Verbündete begehrten Vitalienbrüdern gerne Unterschlupf. Die Hansestädte wollten das nun in die Nordsee verlagerte Treiben nicht weiter hinnehmen. 1400 beschloß der Hansetag deshalb, ein Geschwader mit elf Schiffen und 950 Bewaffneten gegen die Vitalier auszurüsten. Die Hansestädte Hamburg und Bremen gingen auf eigene Faust auf Piratenjagd. Wahrscheinlich noch im Jahr 1400 gelang es dem Hamburger Ratsherren Hermann Lange und Nikolaus Schoke vor Helgoland, Klaus Störtebeker zu stellen. In dem Gefecht wurden 40 Vitalier getötet und 70 weitere – darunter Störtebeker – gefangengenommen und 1401 in Hamburg auf dem Grasbrook enthauptet. Ein Jahr später widerfuhr Goedecke Michels und seinen Kumpanen dasselbe Schicksal. Der Spuk der Piraterie hatte damit vorerst sein Ende.

Der Spuk wird vorerst beendet

Enthaupten war die Strafe für Piraten. Die Köpfe wurden zur Warnung zur Schau gestellt
Enthaupten war die Strafe für Piraten. Die Köpfe wurden zur Warnung zur Schau gestellt

Die Vitalienbrüder waren weder die ersten noch die letzten Kaperfahrer, die im Mittelalter die Grenze zur offenen Piraterie überschritten. Politische und wirtschaftliche Rivalität sorgten während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Nordseeraum für eine Atmosphäre der Unsicherheit. England und Frankreich standen im 100-jährigen Krieg, 1438 bis 1441 lagen Holland und die Hanse im Streit, und als der beendet war, wollte Bremen, das neutral geblieben war, seine Schäden von den Holländern ersetzt haben. Als die nicht zahlten, stellte die Hansestadt Kaperbriefe aus. Noch im 16. Jahrhundert gab es Probleme mit Kaperern in der Ostsee.

Jann Markus Witt (TdM 0301/0721)

Bildquellen: Museum für Hamburgische Geschichte